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Publikumsbeschimpfung

Oktober 20, 2010

Ich war heute im HAU, um mir „We are the undamaged others“ von Toshiki Okada und seiner Gruppe Cheltfish anzusehen. Als ich vor der Vorstellung meiner Begleitung von meiner neuen 9,90 €-Hose von H&M berichtete, mischte sich die Dame neben mir – etwa Mitte 50 mit einem „Atomkraft, nein Danke!“-Sticker auf ihrer Tasche – in unser Geplänkel ein. Ob ich denn wüsste, woher diese Hose komme, fragte sie mit anklagendem Weltretter-Pathos. Ich folgte ihrer Rhetorik und bekannte mich schuldig:  Sicherlich von armen Kindern in Bangladesh. Ich sei aber momentan arbeitslos, da müsse das eben sein. Nach ein paar Minuten, in denen ich zwischen Empörung und Schuldbewusstsein schwankte und sie wohl innerlich über die gewissenlos-hedonistischen Dreißigjährigen von heute klagte, setzte die Dame nach: „Aber ins Theater gehen, das geht, was?“ Woraufhin ich mit ausgesuchter Freundlichkeit entgegnete, dass ich im Theaterbereich arbeite, man dort jedoch so wenig verdiene, dass das Arbeitslosengeld gering sei, ich aber dennoch ins Theater gehen müsse, um auf dem Laufenden zu bleiben. Touché und kurzes Schweigen. Dann sie: „Naja, es geht mich ja auch eigentlich nichts an und ich sollte mich nicht in Ihr Gespräch einmischen.“ Daraufhin ich, leicht gönnerhaft: „Aber das ist doch Ihr gutes Recht.“ Was durchaus ernst gemeint war, denn ich finde es wichtig, sich einzumischen. Mache ich selbst viel zu selten. Aber vom auf relativ magerem Kulturgehalt basierenden Arbeitslosengeld kann man nun mal nicht zu zu 100 % ethisch vertretbar und biologisch abbaubar leben. Wobei ich natürlich nicht arm bin, sondern vom Staat gut ernährt, eingekleidet und unterhalten werde und eben nicht Hosen für H&M zusammenkleben muss, um zu überleben. Es ist gut, dass man ab und an von engagierten Mitbürgern an letzteres erinnert wird. Oder an ersteres, von der gewissenlos-sparsamen Platznachbarin im Theater.

P.S.: Das Stück war dann eine schlichte, aber sehr intensive Meditation über das Glücklichsein, dessen Abhängigkeit von Wohlstand und den Erwartungen ans Leben. Passte irgendwie zum Prolog.

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